Warum Frauen im Fußball nie gut genug sind
3. August 2022
Es ist vorbei – das Sommermärchen 2022. Die deutsche Elf hat eine großartige Leistung gebracht – wieder einmal. Nun heißt es ebenso wieder einmal: Wir müssen die Welle der Begeisterung mitnehmen und mehr tun. „Das haben die Frauen sich mit ihrer Leistung verdient“, ist hier und da zu hören. Allerdings: Warum werden fußballspielende Frauen nicht einfach so gefördert – weil sie Menschen sind?
Ein wunderschönes Sommermärchen hat uns die deutsche Elf geliefert. Auch wenn Alexandra Popp, Merle Frohms und Co. letztendlich „nur“ mit der Silbermedaille um den Hals nach Hause gekommen sind: Die deutsche Elf hat im Land viel Begeisterung ausgelöst. Nicht als Favorit gestartet und erst im Finale knapp unterlegen – diese Entwicklung hätte wohl selbst der wohlwollendste Fan nicht vorhergesagt. Die „EM-Siegerinnen der Herzen“ haben mit ihrem Spiel voller technischer Finesse (Flanken!), Stärke (Lena Oberdorf!) und Abgezocktheit (Alexandra Popp!) sicherlich auch so manchem Zweifelnden gezeigt: Ja, auch Frauen können Fußball spielen.
Das Team von Trainerin Martina Voss-Tecklenburg hat in den knapp vier EM-Wochen viel mediale Aufmerksamkeit erhalten – und das vollkommen zu Recht. Wo die Bundesliga sonst maximal in Kurzberichten stattfindet, gab es während des internationalen Turniers eine lückenlose Berichterstattung, inklusive Kommentare und Analysen. Ein „Glück“ war es sicherlich, dass die Männer-WM dieses Jahr ausnahmsweise im Winter stattfindet – wer weiß, ob die coronabedingt verschobene EM sonst ein solches Medien-Echo ausgelöst hätte.
Trotzdem bleibt bei all dem Lob ein schaler Beigeschmack.
Warum?
Diese Aussage des DFB-Präsidenten war entlarvend: „Wir haben als DFB vor dem Turnier gesagt, wir brauchen mehr Sichtbarkeit für den Frauenfußball. Ich glaube, mehr Sichtbarkeit geht gar nicht. […] Vielen Dank, dass wir das erreicht haben, und das ging nur über diese wunderbare Leistung.“
Diese Worte fielen beim offiziellen Empfang des Teams in Frankfurt. Vermutlich ist Bernd Neuendorf gar nicht bewusst, was er damit indirekt gesagt hat: Die Frauen müssen sich zuerst anstrengen, Leistung bringen, dann bekommen sie – vielleicht – Sichtbarkeit. Und noch „vielleichter“ ähnliche Bedingungen wir die Männer, könnte frau den Gedanken weiterspinnen.
Allerdings: Was bedeutet „Leistung“? Das definieren vor allem die Männer – das gilt in der Gesellschaft ganz allgemein und noch mehr im Sport und ganz besonders beim Fußball. Wie viele Studien aus der Arbeitswelt bestätigen: Frauen, die sich zum Beispiel um einen Job bewerben, müssen besser sein als ihre Mitbewerber, damit sie vielleicht eventuell die Gnade des (männlichen) HR-Menschen erhalten, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Frauen müssen ganz selbstverständlich die Doppelt- und Dreifachbelastung in der Gesellschaft tragen. Anerkennung? Fehlanzeige. Die bekommen die Väter, die mit ihren Kindern sonntags auf den Spielplatz gehen. Warum sollte es den Frauen im Fußball da anders gehen? Sie können noch so viele Titel gewinnen – acht EM-Titel! zwei WM-Titel! eine Gold- und zwei Bronzemedaillen bei Olympia! – sie werden es nie gut genug machen in den Augen der Herren der Schöpfung.
Ein Sportschau-Bericht (ausgerechnet mit einer Frauenstimme) schlägt in dieselbe Kerbe – vermutlich genauso unbeabsichtigt wie der DFB-Präsident: „Aus fußballerischer Sicht: Nie trafen so technisch starke und athletische Spielerinnen aufeinander. Das Niveau im Vergleich zu vorherigen Turnieren: enorm gestiegen. Das macht den Sport auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer interessanter.“
Diese Aussage ist schon allein inhaltlich durchaus streitbar: Was heißt „nie“? Was heißt „Niveau“? Und war der Sport noch vier Wochen zuvor wirklich weniger interessant?
Die Vorurteile bleiben
Als ob Worte wie diese, geäußert von Sportfunktionären und in beliebten TV-Sendungen, nicht so schon schlimm genug wären, sind sie darüber hinaus eine Bestätigung – für die Vorurteile, die es gegenüber fußballspielenden Frauen immer noch gibt. Eben das: nicht athletisch, nicht kämpferisch, Sport auf niedrigem Niveau – und damit langweilig. Und deshalb nicht interessant für die breite Öffentlichkeit. Und damit auch nicht für die Medien. Da Aufmerksamkeit – leider – immer noch die Währung dafür ist, dass Gelder fließen, braucht sich der DFB nicht allzu sehr zu bemühen …
Wobei: Gerade der deutschen Elf könnte man/frau vorwerfen, früher für weniger abwechslungsreiche Spiele gesorgt zu haben – weil sie zu gut war. Spiele mit Ergebnissen von 6:0 bis 11:0 waren noch vor der WM im eigenen Lande eher die Regel als die Ausnahme. Und vor dem WM-Erfolg der Männer über Brasilien. Rekorde über Rekorde sammelt das Team – bis heute.
Also was denn jetzt? Besser als viele ist immer noch nicht gut genug. Auch das ein Vorwurf, dem sich Frauen in vielen Bereichen der Gesellschaft ausgesetzt sehen: Egal was sie machen oder auch nicht – nie machen sie es richtig und nie sind sie gut genug. Das liegt daran, dass in vielen Bereichen immer noch andere die Regeln vorgeben. Und das sind meistens und ganz besonders im Sport – Männer.
Anders gesagt: Lange haben die deutschen Frauen genau das gebracht, wovon ausgerechnet dieses Jahr alle schwärmen – eine Leistung auf internationalem Höchstniveau. Und was haben sie bekommen? anno 1989 ein Kaffeeservice 2. Wahl … Das von der damaligen EM-Heldin Martina Voss-Tecklenburg steht noch bei ihrer Mutter.
Auch wenn der DFB 2022 für den EM-Titel immerhin 60.000 Euro pro Spielerin gezahlt hätte: Da ist immer noch Luft nach oben. 400.000 Euro hätte es zuletzt pro Spieler gegeben. Da drängt sich mir die Frage auf: Haben die Männer vielleicht insgeheim Schiss, dass sie etwas von ihren Millionen abgeben müssen?
Top-bezahlte Spielerinnen – und eine Trainerin dazu
Bezahlung hört übrigens nicht bei den Spielerinnen auf: Die Trainerin des englischen Teams Sarina Wiegman bekommt genauso ein Topgehalt (400.000 Pfund im Jahr – plus Prämie) wie ihre Spielerinnen (wobei auch deren Verdienst längst nicht an die Herren rankommt. Doch immerhin gibt es jetzt für die eine oder andere „Lioness“ eine Gehaltsaufstockung durch Werbe- und Sponsoringverträge.). Auch wenn Geld natürlich nicht alles ist und gerade im hoch bezahlten Männerfußball nicht alles Gold ist, was glänzt, so zeigt es doch: Dort, wo Geld – und damit verbunden Anerkennung – fließt, ist vieles möglich.
Das angeblich fehlende Interesse ist DAS Totschlagargument, mit dem DFB und Medien begründen, warum es nicht mehr gibt – an Geld, an Sendeminuten, an geschriebenen Zeilen. Natürlich stimmt es, dass in der Bundesliga die Zuschauerzahlen durchschnittlich maximal dreistellig sind. Auch das Pokalfinale in Köln ist mit gut 10.000 bis 20.000 ausbaufähig und weit von den rund 80.000 oder 91.000 entfernt, die dieses Jahr in Barcelona und jüngst auch in Wembley für Stimmung sorgten.
Die Welle der Begeisterung weitertragen
Kurz nach dem EM-Triumph sprechen nun wieder alle davon, dass diese Welle der schwarz-rot-goldenen Begeisterung weitergetragen werden soll. Zuschauer*innen sollen von den Bildschirmen weg in die Bundesliga-Stadien gelockt werden. Das Thema Equal Pay (oder wenigstens ein Grundgehalt) ist endlich in der Diskussion. Genauso wie die Strukturen insgesamt, die sich dringend ändern müssen, damit sich Profis auf ihren Sport konzentrieren können.
Moment – so weit waren wir doch schon ein paar Mal: beim Triumph der „besten Frauen der Welt“ 2007 in China (sogar die BILD titelte: „Wir sind Weltmeisterin!“), 2011 bei der WM im eigenen Lande (die leider für unser Team weniger erfolgreich verlief) und 2013 beim bisher letzten EM-Titel.
Was hat sich seitdem getan?
Auch damals: Viel Lob für die starken Frauen und vollmundige Versprechen von (überwiegend männlichen) DFB-Funktionären. Und darüber hinaus? Einige Vereine haben (weiter) investiert – allen voran der VFL Wolfsburg und Bayern München. Nicht umsonst „speist“ sich das Nationalteam vor allem aus Spielerinnen dieser beiden Vereine.
Gleichzeitig sind allerdings andere traditionsreiche Vereine „abgestiegen“: Der FFC Frankfurt ist wegen finanzieller Probleme in der Eintracht Frankfurt aufgegangen. Das zweite ehemalige Top-Team 1. FFC Turbine Potsdam konnte in den letzten Jahren nicht an die früheren Erfolge anschließen.
Andere Länder – allen voran Frankreich, Spanien und die neue Europameisterin England – haben in wenigen Jahren mächtig aufgeholt.
Wer also ist in der Verantwortung, dass sich – endlich und nachhaltig – etwas tut in Sachen Frauenfußball Fußball für Frauen und auch Mädchen?
Meiner Meinung nach müssen drei Bereiche ineinander übergreifen:
1. Die Medien
Gern behaupten „die Medien“, dass sich ihre Zuschauer*innen und Leser*innen nicht für den Sport interessieren. Dieses Scheinargument dürfte mit den Rekord-Einschaltquoten endgültig vom Tisch der Intendant*innen und Chefredakteur*innen geweht sein.
Hier wie überall stellt sich die Frage nach Henne und Ei: Was muss zuerst da sein, damit Interesse geweckt wird? Natürlich können auch die Vereine selbst viel dafür tun – spätestens seit Social Media. Dennoch bleibt es eine Herausforderung, an die potentiellen Fans ranzukommen. Und da sind TV sowie regionale und überregionale Zeitungen und Internetportale gefragt.
Wenn die 1. Bundesliga in der Lokalpresse dieselben Seiten (und damit auch denselben knappen) Platz wie der Regionalsport erhält – wie soll da Begeisterung entstehen? Wenn ARD und ZDF selten mehr als einen Kurzbericht über das Spitzenspiel des Spieltages bringen – wie sollen damit mehr Zuschauer*innen in die Stadien gelockt werden? Wenn die regionalen Sender – allen voran der größte, der WDR – diesem Sport keine Aufmerksamkeit schenken, und das ausgerechnet in der Wiege des „Frauenfußballs“ – woher sollen potentielle Fans dann wissen, dass auch in den kleineren Vereinen und Stadien guter Sport gespielt wird?
Acht Frauen auf 108 Chefredationsstellen
Hinzu kommt: Wer bestimmt bei den Medien, welche Themen ins Blatt bzw. auf die Bildschirme kommen? Immer noch überwiegend – Männer, und das ganz besonders in den Sportredaktionen. Eine aktuelle Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen zeigt, dass es in den Rundfunkräten an Vielfalt mangelt – immer noch, im Jahr 2022. Der Verein ProQuote hat schon seit zehn Jahren im Blick, wie es um die Geschlechteraufteilung in den Medien bestellt ist. Nach wie vor: Von einer Gleichheit weit entfernt. Der durchschnittliche Frauenmachtanteil der acht Leitmedien lag laut der aktuellsten Studie aus dem Jahr 2019 bei 28,3 Prozent. Am düstersten sieht es bei den Regionalzeitungen aus: Von 108 Chefredaktionsstellen sind nur acht von Frauen besetzt.
Dass Sender wie Eurosport und Magenta TV in der letzten Saison mit gutem Beispiel vorangegangen sind, indem sie die meisten Bundesliga-Spiele übertragen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Medien insgesamt einen großen Aufholbedarf haben.
Immerhin, liebe Medien: Ihr seid jetzt ja in der Übung. Und es ist mir nicht entgangen, dass bei dieser EM wohl so viele Reporterinnen wie nie zuvor am Spielfeldrand standen. Also bitte: weitermachen!
2. Die UEFA und der DFB
Es bleibt abzuwarten, was die im Dezember 2021 gestartete Strategie Frauen im Fußball FF27 bringen wird. Darin heißt es, dass sich die Anzahl der Mädchenteams seit 2010 etwa halbiert hat! Das zeigt doch klar, dass die letzten Begeisterungswellen schnell verebbt sind.
Was der DFB konkret tun muss, um diese Entwicklung umzukehren, ist schon an vielen Stellen geschrieben und gesagt worden. Daher nur ein paar Gedanken:
In Deutschland ist eben der DFB als größter Verband auf allen Ebenen gefragt – überregional und bis in die kleinsten Vereine. Wie es Nia Künzer ausgedrückt hat: „Der DFB muss den Mut haben zu investieren und in Vorleistung zu gehen. Der Frauenfußball hat einen Mehrwert und wirklich große Entwicklungsmöglichkeiten.“ Dass der zweite Satz überhaupt erwähnt werden muss, ist schon ein Armutszeugnis.
Um nochmal auf das Thema Geld zurückzukommen: Die UEFA hat das Sponsoring erstmals unabhängig von einem Männer-Turnier angeboten. Was nicht geschadet hat – ganz im Gegenteil sind bei dieser EM so viele Sponsoring-Gelder geflossen wie nie zuvor. Das zeigt: Neue Wege zu gehen und unabhängig von den Männern zu denken und zu handeln, kann durchaus auch finanziell lukrativ sein.
3. „Die Gesellschaft“
Der DFB wird ja selbst nicht müde zu betonen, dass Sport eine wichtige Wirkung in der und auf die Gesellschaft hat. Natürlich nicht nur im Großen, sondern auch und gerade im Kleinen: Sport gibt so manchen Kindern und Jugendlichen eine Perspektive und sorgt für Anerkennung und Erfolgserlebnisse, die sie woanders vielleicht nicht bekommen.
Martina Voss-Tecklenburg: „Tragt die Werte, die wir vorgelebt haben, in unsere Gesellschaft, dann werden wir ein Stück besser und wir haben sie verdient.“
Zur Gesellschaft gehören für mich auch die Lehrpläne. Mag sein, dass sich das inzwischen geändert hat. Doch in meiner Schulzeit habe ich gerade mal einmal Fußball im Schulsport gespielt. Die Trennung der Geschlechter war an dieser Stelle so klar wie eh und je: Die Jungs toben sich beim Fußball aus, die Mädchen machen brav rhythmische Sportgymnastik. (Kotz-Emoticon)
Frei nach dem Motto „Your Verein needs you“ können viele von uns dazu beitragen, dass sich die Stadien füllen – auch, wenn „nur“ Bundesliga ist und das nächste Sommermädchen weit entfernt. Ein Ticket kostet gerade mal ein paar Euro – selbst in der ersten Bundesliga. Außerdem geht es friedlich und entspannt zu. Und wo ist es sonst ganz easy möglich, nach dem Spiel Autogramme zu bekommen?
Bei aller Skepsis, die bei mir aus den Erfahrungen der Vergangenheit und den verräterischen Äußerungen bleibt: Natürlich wünsche ich mir trotzdem, dass sich – jetzt aber auch endlich wirklich – etwas tut und die Frauen das bekommen, was sie verdienen: Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit, Respekt und gute Strukturen, zu denen auch ein auskömmliches Einkommen gehört. Und das alles bitte unabhängig davon, ob sie als EM-, WM- oder Olympia-Heldinnen gefeiert werden. Unabhängig von Sponsorengeldern, von Übertragungsrechten, von dem – wirklichen oder nur gefühlten – Interesse der Zuschauer*innen. Sondern einfach so: Weil auch Frauen Menschen sind. Die Anerkennung per se verdienen – und die es außerdem gar nicht nötig haben, sich mit dem „anderen Geschlecht“ zu messen.
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